Frauen im Fußball: „Es fehlen Strukturen“

Germany, Berlin. Female Football Academy. 21.05.2021 Photo Jan Michalko

In keinem Bereich sind die Unterschiede zwischen Frauen und Männern so groß wie im Profifußball. Die Gründe, warum der deutsche Volkssport bei weitem nicht so divers ist, wie er gerne wäre, sind vielfältig. Bei einem Think Tank des Impact of Diversity in Kooperation mit der Female Football Academy analysieren Expert:innen die Lage.

Mit vier Jahren hat Tabea Kemme zu ihrem Vater gesagt: „Dad, ich will Nationalspieler werden.“ Spieler sagt sie, nicht Spielerin. „Ich kannte schließlich nur Vorbilder aus dem Männerfußball“.

18 Jahre später macht die heute 29-Jährige ihr erstes Länderspiel. Kemme wird eine der erfolgreichsten deutschen Profispielerinnen. Sie gewinnt mit dem Nationalteam olympisches Gold und mit Turbine Potsdam die Champions League. Zuletzt spielte sie für den englischen Spitzenklub Arsenal London und musste im Januar wegen einer Verletzung ihre Karriere beenden. Wäre Tabea Kemme ein Mann, wäre sie hierzulande wohl ein hochbezahlter Superstar wie die etwa gleichaltrigen Toni Kroos und Thomas Müller. Als Frau aber verläuft ihre Fußball-Karriere gänzlich anders.

Stimmt die These, dass Fußball immer auch ein Spiegelbild der Gesellschaft ist, steht es hierzulande nicht gut um Gleichberechtigung und Vielfalt. „So signifikant wie im Profifußball und im Sport sind die Unterschiede in keinem anderen Bereich“, stellt Barbara Lutz, Gründerin des Frauen-Karriere-Index und des Impact of Diversity, fest. In einem Think Tank mit Expert:innen aus Wirtschaft und Sport ist der Impact of Diversity den Ursachen dafür auf den Grund gegangen. Die Veranstaltung „Gerechte Teilhabe im Fußball“ sollte vor allem aber auch Lösungsperspektiven aufzeigen.

Während ihre Altersgenossen Kroos und Müller schon als Teenager gut dotierte Verträge haben, muss Kemme „viel mehr wagen, um erfolgreich zu sein“. Seit ihrem 16. Lebensjahr spielt sie in sämtlichen U-Nationalmannschaften. Trotzdem kann sie allein vom Fußball-Verdienst nicht leben. So macht sie parallel eine Ausbildung zur Polizei-Kommissarin. „Schon ein paar Schuhe für 450 Euro waren für mich als 16-Jährige ein Thema“, sagt Kemme. Ohne ihre Förderer und Sponsoren sowie die Sportfördergruppe der Polizei wäre sie „als Athletin aufgeschmissen gewesen“. Das System habe ihr dabei nicht geholfen. Viele Sponsoren und Unterstützer habe sie sich in ihrer Karriere selbst beschaffen müssen.

Kemmes Erfahrungsbericht macht eine Misere deutlich, die andere Teilnehmerinnen der Runde bestätigten. „Es fehlt grundsätzlich an Strukturen, um den Frauenfußball zu professionalisieren“, sagt Chantal Hoppe. Es mangele an „langfristigen Konzepten und Geldern“. Außerdem gebe es „kaum Trainingsangebote außerhalb der Vereinsstrukturen“.

Konzeptstudie zur Situation des Frauenfußballs

Auch Hoppe war erfolgreiche Bundesliga-Spielerin, wech­selte später auf die Trai­ner­bank und baute die Mäd­chen- und Frau­en­ab­tei­lung bei Tennis Borussia Berlin auf. Sie hat eine ausführliche Konzeptstudie zur Situation des Frauenfußballs in Deutschland und Berlin erstellt. Ihre Analyse ist die Keimzelle der Female Football-Academy, deren Mitbegründerin sie ist. Andreas Gebhard, ebenfalls Gründer der Akademie, beschreibt die Lage so: „Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die sich jeden Tag zerreißen, aber wenig Anerkennung dafür erhalten, wäre das Kartenhaus Frauenfußball schon längst zusammengebrochen“.

Wie schlecht das deutsche System nach wie vor auf fußballspielende Mädchen eingerichtet ist, zeigt auch die Geschichte von Emma Marie Lattus. Die 14-Jährige dürfte zu den begabtesten jungen Spielerinnen ihrer Generation in Deutschland gehören, lief bereits mehrfach für die U-16-Nationalmannschaft auf. In ihrem Verein FC Hennef 05 spielt Emma als einziges Mädchen in einem Team mit den gleichaltrigen Jungs. Ihre Mutter Asumpta Lattus, Journalistin bei der Deutschen Welle, berichtet von ständigen Vorbehalten und Hürden, mit denen ihre Tochter konfrontiert wird. „Ihre Tochter spielt ja richtig stark – für ein Mädchen“. Diesen Satz hört Lattus immer wieder und ärgert sich darüber. Obwohl Emma zu den Leistungsträgerinnen ihres Teams gehört, darf sie nicht in der höchsten U-15-Liga des Verbands antreten, weil sie ein Mädchen ist. „Wer macht solche Regeln“, fragt Lattus. Sie findet, die Trennung zwischen Frauen- und Männerfußball sollte weniger strickt sein. „Es ist einfach Fußball.“

„Emmas Traum ist es, später als Profi ihr Geld zu verdienen – genau wie die Männer“, sagt ihre Mutter. Doch auch rund 15 Jahre, nachdem Tabea Kemme und Chantal Hoppe ihre ersten Schritte in den Profisport machten, sind die Aussichten für Emma nicht viel anders. Die wirtschaftlichen Perspektiven für eine Karriere als Profifußballerin sind bei weitem nicht so gut wie für ähnlich hoch veranlagte Jungen ihres Alters.

Chantal Hoppe hat in ihrer Analyse vor allem einen Ansatzpunkt ausgemacht, um die Situation zu verbessern: mehr Geld wäre die Grundlage für professionellere Strukturen. Dafür aber müsse der Frauenfußball „sichtbarer werden“, sagt Hoppe. Mit wachsendem öffentlichem Interesse würden auch „die Absatzmärke entstehen“. Notwendig dafür sei ein professioneller Markenaufbau, der den Sport „für Unternehmen und Sponsoren interessanter machen würde“.

Englische Football Association setzt Impulse

Wie so etwas in der Praxis aussehen könnte, berichtet Tabea Kemme aus ihren Erfahrungen im englischen Profifußball. Dort setze die Football Association (FA), das englische Pendant zum Deutschen Fußball-Bund, bereits seit Jahren „positive Impulse“. In England werde im wahrsten Sinne des Wortes ein viel gleichberechtigtes Bild des Sports vermittelt. Werbekampagnen zeigten Spielerinnen und Spieler. In Deutschland sehe man dagegen oft nur Bilder von Models statt echter Bundesliga-Spielerinnen, wenn für das Thema Frauenfußball geworben werde. Dauerkarten würden überdies für Männer- wie für Frauenpartien gelten, so Kemme. „So spielen in England auch Frauenmannschaften in den großen Stadien vor mehr als 40.000 Zuschauern“.

„Es müssen Strukturen aufgebrochen werden“, findet Yolanda Rother, Mitgründerin der Diversitäts-Beratung The Impact Company. Das Thema gehe letztlich „über den Frauenfußball hinaus, es betrifft auch LGBT+, Diversität und Rassismus“. Ein mögliches Vorbild, wie Frauenfußball auch hierzulande „stärker verankert werden könnte“, ist für sie das College-System in den USA.

Zentrale Rolle der Fußball-Sponsoren

Eine der prominentesten Frauen im deutschen Profifußball ist Bibiana Steinhaus-Webb. Sie war die erste Schiedsrichterin, die in der Bundesliga Männer-Spiele leitete. Auch ihr Werdegang zeigt, wie schwer sich der deutsche Profifußball noch immer mit Frauen tut. Vor 15 Jahren gab es nicht mal passende Frauentrikots für sie. „Bei einem Fotoshooting waren die Leute damals völlig unvorbereitet und hilflos.“ Immerhin gebe es in neueren Stadien inzwischen zwei Schiedsrichterkabinen – eine für Frauen und eine für Männer. „Da habe ich wohl auch zu baulichen Veränderungen beigetragen“.

Die Berichte im Think Tank hätten sie „erschüttert und fassungslos gemacht“, sagt Steinhaus-Webb. Sie habe „gehofft, dass die Situation bei den Spielerinnen eigentlich besser ist.“ Auch die Schiedsrichterin sieht den entscheidenden Hebel für Veränderungen beim Thema Geld. „Unter den Sponsoren dieses Sports sind zahlreiche Unternehmen, die für sich selbst Ziele wie Vielfalt und Diversität definiert haben. Wieso unterstützen diese Unternehmen dann eigentlich Verbände und Vereine, die diese Ziele nicht erfüllen“, fragt sie. Eine Anregung, die in der Think-Tank-Runde viel Zustimmung erhielt. „Ich werde das Thema mal mit den Kollegen aus dem Sportmarketing besprechen“, sagt eine Teilnehmerin, die für einen großen deutschen Konzern arbeitet.

Steinhaus-Webb ist eines der bekanntesten Gesichter von „Fußball kann mehr“. Die Initiative setzt sich für mehr Frauen in den Führungsgremien in den deutschen Fußballverbänden und mehr Chancengleichheit ein. Sie glaube, „dass sich der DFB dieser Entwicklung letztlich nicht verschließen kann“. Hoffnung machen ihr vor allem die Menschen. „Ich weiß, dass die Menschen, die dort arbeiten, ein großes Interesse daran haben, dass wir bei diesem Thema vorankommen“.

Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf impact-of-diversity.com.

Impact of Diversity

Der Impact of Diversity Award & Think Tank ist eine Plattform für Diversity, die Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und Initiativen mit Expert:innen und Entscheider:innen zusammenbringt. Unser Ziel: die positive Wirkung von Diversity auf Unternehmen und Gesellschaft deutlich zu machen, das Thema in die breite Öffentlichkeit zu tragen und konkrete Schritte und Veränderungen anzustoßen. Weitere Informationen gibt es auf impact-of-diversity.com